Neues zur Milchabgabe/Milchquote/Superabgabe
Mit Ablauf des aktuellen Milchwirtschaftsjahres 2014/2015 wurde in Deutschland eine Milchabgabenbelastung in einer Größenordnung von ingesamt rd. 300 Mio. Euro für die Milchbauern festgesetzt; die Superabgabe für das Milchwirtschaftsjahr 2014/2015 beträgt rd. 22 Cent je Liter. Bei dem derzeitigen Milchpreis von rd. 32 Cent je Liter ist die Milchabgabe selbstredend ruinös für die Milchbauern.
Die Abgabenerhebung soll weiter vollzogen werden, obwohl an einer rechtswirksamen Festsetzung der Milchabgaben erhebliche rechtliche Zweifel bestehen, die nur vom Europäischen Gerichtshof geklärt werden können!
Unsere Meinung in Kürze
- Die Abgabenerhebung ist seit 2004 klar rechtswidrig, weil das Europaparlament nicht – wie von der Europäischen Verfassung verlangt – in die Gesetzgebung einbezogen wurde.
- Wir sind der Auffassung, dass Abgaben in existenzvernichtender Höhe nur dann erhoben werden dürfen, wenn sämtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Erhebung ausgeräumt sind.
- Seit 2004 wurden die Milcherzeuger dazu gezwungen, entweder eine rechtswidrige Abgabe zu bezahlen oder aber sich durch die Finanzierung von Milchquoten von diesem Risiko freizukaufen.
- Die bisher gegen eine sofortige Aufhebung des Abgabenvollzugs vorgetragene Auffassung der EU-Kommission, sie müsse die rechtswidrige Abgabe weiter erheben, weil sonst diejenigen, die sich freigekauft haben, benachteiligt würden, ist zynisch. Es hat den Anschein, dass hier zwei „Opfergruppen“ gegeneinander ausgespielt werden.
- Völlig unverständlich ist, dass trotz allem weiterhin Quotenbörsen abgehalten werden sollen. Hier wäre u.E. zumindest ein ausdrücklicher Vorbehalt mit der Option einer Rückabwicklung notwendig, da sonst weiteres Vertrauen in die Verlässlichkeit der Agrarpolitik verloren zu gehen droht.
- Ehrlich wäre es nur, wenn sich die Politik entschuldigen würde, und für die ab 1.4.2004 zugekauften Quoten die nachgewiesenen Quotenkosten ebenso erstattet, wie die zu Unrecht einbehaltenen Milchabgaben. Zumindest aber darf nach Aufdeckung des Demokratiedefizits keine neue Abgabenfestsetzung mehr erfolgen. Alles andere kann dann den (langsamen) Mühlen der Gerichte überlassen werden. Hier wird sich zeigen, ob das gerade neu gewählte Parlament und die neue Kommission ein „weiter so“ oder eine klare Haltung zu den Fehlern der Vergangenheit zeigen.
- Wenn die Politik trotz aller aufgezeigten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geplanten Abgabenerhebung festhalten, und damit das Risiko einer endgültigen gerichtlichen Klärung eingehen will, so sollte sie als absolutes rechtsstaatliches Minimum für die Abgabenzahlung eine zinslose Ratenzahlung über 15 Jahre, wie bereits im Fall von Italien praktiziert, gewähren. In diesem Fall bleibt den Gerichten ausreichend Zeit, die Zweifelsfragen zu klären, ohne einen nicht wieder gutzumachenden Schaden bei den auf Milchabgabe in Anspruch genommenen Landwirten anzurichten.
- Zum 31.3.2015 wurde die gesetzliche Grundlage für die Milchabgabenfestsetzung formal aufgehoben. Eine erst nach diesem Zeitpunkt mögliche Abgabenfestsetzung für das letzte Quotenjahr steht daher buchstäblich in der Luft. Hier ist zu fordern, dass der faktisch als Liquiditätsspritze für die deutschen Molkereien eingeführte 30%-Abzug als Vorauszahlung auf eine mögliche Abgabenfestsetzung sofort aufgehoben wird. Denn die Vorauszahlung macht überhaupt keinen Sinn mehr, wenn gar keine Milchabgabe endgültig festgesetzt werden kann. Und ACHTUNG: Der Einbehalt ist nur bei dem August-Milchgeld zulässig, nicht hingegen bei dem Juli-Milchgeld. Das handhaben leider einige Molkereien bewusst nicht korrekt. Lassen Sie sich davon aber bitte nicht beeindrucken!
Rechtslage / Rechtswidrigkeit der Milchabgabenerhebung ab 2004 /2005
Da unsere Kanzlei nunmehr seit mehreren Jahren auf allen Ebenen der nationalen Gerichte (Finanzgerichte Hamburg, Düsseldorf, Brandenburg, Bundesfinanzhof, Bundesverfassungsgericht) die Rechte von Milcherzeugern vertreten hat, möchten wir diese sehr diplomatisch formulierten Zweifel des juristischen Dienstes wie folgt kommentieren:
- Unsere Mandanten hatten bereits im Jahr 2006 in einer Beschwerde bei der Europäischen Kommission detailliert nachgewiesen, dass die haushaltsbedingte Notmaßnahme „Einführung einer Quote“ bei gleichzeitigem Bestandsschutz für die bis dahin auf Abnahmegarantien zum Garantiepreis vertrauenden Milcherzeuger nur durch diese Haushaltsnotlage gerechtfertigt war. Die ständige Verlängerung der Bestandsschutzregelung bis zum jetzigen 30-jährigen Jubiläum war jedoch von vornherein nicht gerechtfertigt. Bereits mit der Aufgabe des Garantiepreises gab es keinen Grund mehr, die abgabenfreie Milcherzeugung von dem Besitz eines Quotenrechts abhängig zu machen.Zur Erinnerung:
-1. Geltungszeitraum (VO 3950/92): 1984-1993 (9 Milchwirtschaftsjahre)
-1. Verlängerung: 1994-2000 (7 Milchwirtschaftsjahre)
-2. Verlängerung: 2001-2008 (8 Milchwirtschaftsjahre)
-1. Neuregelung (VO 1788/03): 2005-2015 (11 Milchwirtschaftsjahre)
-2. Neuregelung (VO 1234/07): 2009-2015 (7 Milchwirtschaftsjahre) - Noch schwerwiegender (und ein handfester Skandal) ist es, dass die Abgabenfestsetzung in den Milchwirtschaftsjahren 2004/2005, 2005/2006 und 2007/2008 ohne wirksame Rechtsgrundlage erfolgt ist. Denn bei Erlass der VO 1788/2003 wurde schlicht und einfach das Anhörungsrecht des Europäischen Parlaments missachtet. Dieses Anhörungsrecht ist aber notwendiger Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens, so dass die VO 1788/2003 bei Vorlage dieser Frage vor dem Europäischen Gerichtshof mit hoher Wahrscheinlichkeit für nichtig erklärt werden würde. Hier muss sich der aktuelle Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt (Tagung des Agrarrates am 14.4.2014) an seinen Worten messen lassen, dass „in jedem Fall eine eindeutige und unzweifelhafte Rechtsgrundlage notwendig sei, um die Milcherzeuger durch die Superabgabe zu belasten“.
- Ein offenbar zu ehrlicher Beamter, der die Milchabgabenfestsetzung 2004/2005 vermutlich im Hinblick auf diesen damals leider noch nicht außerhalb des Parlaments sowie der Agrar- und Zollverwaltung bekannten Rechtsfehlers, zunächst zurückzahlen ließ, wurde umgehend seiner Aufgaben entbunden.
- Die Nichtigkeit der VO 1788/2003 ist so eindeutig, dass alle Betroffenen einmal Ihre Europa-Abgeordneten fragen sollten, wie es in einem Rechtsstaat sein kann, dass ohne ordentliches Gesetzgebungsverfahren zustande gekommene Gesetze rigoros durchgesetzt werden und welches Klima im Europaparlament herrscht, wenn das Parlament die Umgehung seiner Rechte einfach so hinnimmt.
- Die Verteidigungsstrategie der Justiz- und Verwaltungsvertreter sieht aktuell so aus, dass dort die geltend gemachte Rechtsverletzung grundsätzlich zwar „für möglich gehalten wird“ aber auf Zeit gespielt wird. So hat der Bundesfinanzhof in seiner ersten Entscheidung zu diesem Thema, gemeint, dass er die Nichtigkeitsfrage nicht dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müsse, weil man bei Nichtigkeit doch einfach die Vorgängerregelung anwenden könnte. Hiergegen spricht jedoch, dass in 2004 die Osterweiterung der EU stattfand, und die Vorgängerverordnung somit gar keine Quoten für die gesamte EU vorgesehen hatte. Ebenso spricht gegen die vermeintliche Problemlösung des Bundesfinanzhofes, dass die Vorgängerverordnung von einem ganz anderen Gesetz ausdrücklich aufgehoben wurde. Schließlich verlangt das Bundesverfassungsgericht (bisher allerdings nur für Verfahren ohne Milchquotenbezug), dass eine Rechtsfrage nur dann nicht dem EuGH vorgelegt werden dürfe, wenn das erkennende Gericht (also der Bundesfinanzhof) eine eigenständige Lösung entwickelt, die einer eindeutigen Rechtslage entspricht. Wir meinen, dass die alternative Heranziehung einer bereits ausdrücklich vom Gesetzgeber aufgehobenen Altregelung, die zu einer nur für die halbe EU geltenden Quotenregelung führt, keinesfalls als „eindeutige Rechtslage“ angesehen werden kann.
- Der Bundesfinanzhof erhält jetzt in einem weiteren von uns geführten Verfahren kurzfristig Gelegenheit, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nachzuholen.
- Sobald der EUGH die Nichtigkeit der Verordnung 1788/2003 bejaht, wird sich für die aktuellen Milchwirtschaftsjahre die Rechtsfrage stellen, ob eine Quotenregelung auch rd. 30. Jahre nach Ihrer Einführung als Notmaßnahme noch rechtmäßig sein kann, obwohl drei Jahre zuvor wegen Nichtigkeit der gesetzlichen Regelung keine Milchabgabe erhoben werden durfte. Denn eine rigorose Abgabenerhebung in den Jahren, in denen das politische Produktionsziel in der Gesamt-EU gar nicht überschritten wurde, ist dann erst recht nicht mehr als Übergangslösung zu rechtfertigen. Da die Organe der EU die Umgehung des Parlaments so dreist durchführten, wird der Europäische Gerichtshof u.E. schon aus Präventivgründen nicht einfach eine weitere Anwendung trotz Nichtigkeit in Erwägung ziehen.
- Bisher ist bezeichnender Weise noch in keiner gerichtlichen Entscheidung erklärt worden, weshalb die Erhebung einer Milchabgabe, über deren Erhebung erst nach Ablauf des Milchwirtschaftsjahres entschieden wird (nämlich durch Feststellung einer nationalen Überlieferung) – eine nennenswert angebotsdämpfende Wirkung entfalten kann. Milchproduktion beruht auf langfristigen Investitionsentscheidungen – produktionsdämpfend kann daher allenfalls die „Furcht“ des Einzelnen vor einer Abgabenfestsetzung in einer Höhe über den Quotenkosten oder aber die Insolvenz des Einzelnen bei realisierter zu hoher Abgabenlast wirken.
Das Thema bleibt auf jeden Fall spannend. Wir gehen davon aus, dass der Bundesfinanzhof seiner Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof nachkommen wird. Da die aufgezeigte Rechtsproblematik aber auch in allen anderen betroffenen Mitgliedsstaaten gleichermaßen gilt, wird sich eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ohnehin nur verzögern nicht aber aufhalten lassen.
Ein System, das eine staatliche Abgabe in Höhe von bis zu 100 % des Umsatzes in Abhängigkeit von einem Zufallsereignis (=Überschreitung der nationalen Milchmenge) und in Kombination mit einem börsengehandelten Abgabenvermeidungszertifikat (=Milchquote) vorsieht, lässt sich mit unserer Rechtsordnung u.E. nicht in Einklang bringen. Wir empfehlen daher dringend, sich rechtlich beraten zu lassen und gegen alle kommenden Milchabgabenabrechnungen der Molkereien rechtzeitig Einspruch einzulegen. Die Erfolgsaussichten beurteilen wir insgesamt als gut. Da die Einspruchsfristen gesetzlich nicht klar geregelt sind, empfehlen wir die Einsprüche unverzüglich nach Empfang der Milchabgabenberechnung von der Molkerei beim zuständigen Hauptzollamt und vorsorglich -wegen der ebenfalls bisher nicht überzeugend beantworteten Frage zur Behördeneigenschaft der Molkereien- zusätzlich per Fax (Faxprotokoll aufheben!) bei der Molkerei selbst einzulegen.
Formular-Vollmacht-Einspruch-gegen-Milchabgabe
Sofern Sie uns beauftragen wollen, steht Ihnen unser Auftragsformular zur Verfügung. Sobald Sie uns das vollständig ausgefüllte Formular sowie die beigefügte Vollmacht zusammen mit einer Kopie der Milchabgabenberechnung Ihrer Molkerei übersandt haben, werden wir nach Annahme des Mandats für Sie Einspruch einlegen und das weitere Verfahren mit Ihnen absprechen.